Wir alle verfolgen mit Sorge, dass die Corona-Krise Italien und Spanien mit doppelter Härte trifft, da sie auch wirtschaftlich und von der Verschuldung her ebenfalls weniger stabil dastehen als die nördlichen Nachbarn. Wie zu befürchten, wurden heute schon Europa-Fahnen in Italien verbrannt. Wenn wir nicht proaktiv handeln, werden die Populisten diese Krise anti-europäisch nutzen. Das darf auf keinen Fall passieren!

Hier hätte Europa nun eine große Chance, Solidarität zu beweisen, und damit allen Bürgern Europas zu zeigen, dass der Grundsatz gilt „Gemeinsam sind wir stärker“. Wir können ausserdem beweisen, dass unser demokratisches und soziales System handlungsfähig ist und in diesem Punkt den autokratischen nicht unterlegen ist, und dabei gleichzeitig ein höheres Mass an Menschlichkeit und Standards berücksichtigt. Es ist auch im ökonomischen Interesse der stärkeren Staaten Nordeuropas, dass alle Mitglieder der EU die Corona-Krise überwinden. Nur so kann der europäische Binnenmarkt gerettet werden, der für Deutschlands Wohlstand so wichtig ist.

Insgesamt gesehen ist die Verschuldung Europas bei gleich großem Bruttosozialprodukt wie die Vereinigten Staaten um über 10.000 Mrd. (10 Billionen) niedriger, und damit ist rein finanziell gesehen Europa um diesen Betrag stärker als die Vereinigten Staaten. Die Corona-Shutdown-Kosten werden auf 10-15% des Bruttosozialprodukts geschätzt und belaufen sich damit in Europa auf 2-3 Billionen. Wenn wir diese Schulden im Kollektiv, d.h. über unsere Staaten und den Verbund aufnehmen, sind wir immer noch um 7 Billionen weniger verschuldet als die Vereinigte Staaten. Die gute Nachricht ist: Europa ist finanziell, menschlich und organisatorisch in der Lage, diesen Stresstest besser zu managen, als alle anderen. Das wird Europas Rolle in der Welt weiterhin stärken zu unserem Vorteil und zum Vorteil unserer Partner.

Das Problem ist aber, dass eine Vergemeinschaftung der Schulden ungerecht wäre und von den niedriger verschuldeten Staaten nicht akzeptiert wird. Stellen Sie sich eine Familie vor, wo jeder unterschiedlich Schulden hat und plötzlich wird erklärt, ab morgen habt Ihr alle gleich viel Schulden. Das würde einer Teilenteignung der Hälfte der Familienmitglieder gleichkommen und ist auch deswegen emotional, weil diejenigen, die sich besonders fleissig fühlen, jetzt erleben müssten, dass die weniger Fleissigen belohnt werden.

Was muss also eine Familie in so einem Fall tun? Sie muss die unterschiedlichen Schuldenstände weiter respektieren, aber für Probleme einen Solidaritätsfond gründen, der auf  alle in gleicher Weise zurückgreifen darf. Dafür haben wir in Europa die EIB, den ESM und die Europäische Kommission. Alle drei Institutionen können in Rahmen ihrer jeweiligen Mandate Hilfen bei der Überwindung der Corona-Krise anbieten. Die EIB plant zusätzliche Finanzierungen für KMUs, die Kommission kann ihren Haushalt in den nächsten Jahren stärker als bisher geplant auf die Überwindung der Wirtschaftskrise ausrichten.

Der ESM ist ein Fond für Notgelder, ohne das Prinzip von Verantwortung und Besitzstand aufzugeben. Er verfügt z.Z. über eine ungenutzte Kreditvergabekapazität von € 410 Mrd., die z.T. für die Überwindung der gegenwärtigen Krise genutzt werden sollten. Die Länder, die sich helfen lassen, müssen dafür auch gewisse Reformen und Mitspracherechte einräumen. Es wird geholfen – aber nicht bedingungslos. So ist es auch in einer Familie.

Die Alternative über die EZB, allen Ländern durch beliebigen Rückkauf von Staatsanleihen, beliebig viel Geld zur Verfügung zu stellen, ist eine schlechtere Alternative und führt am Ende zum Verlust des Vertrauens in den Euro. Der ESM hat unter Herrn Regling schon in der Griechenland-Krise Großes geleistet, man hört nichts mehr über Griechenland, Spanien, Portugal und Irland, und kann als der Kernbaustein für den europäischen Zusammenhalt angesehen werden.Der ESM hat dies bereits öffentlich in der FAZ wieder bewusst gemacht.

Es gibt bereits seit Jahrzehnten spezifische „gemeinsame Schulden“ (manche nennen sie Eurobonds) der 27 EU-Staaten bzw. der 19 Euro-Länder. Die EIB begibt seit Jahrzehnten Anleihen, die von den EU-Mitgliedsstaaten gemeinsam garantiert werden. Die Kommission macht das seit 1972 und EFSF/ESM seit der Eurokrise. Insgesamt laufen z.Z. mehr als €800 Milliarden solcher Europäischer Anleihen um. Dieser Betrag kann und muss natürlich erhöht werden angesichts der Corona-Krise. Hierfür haften alle Europäer im Proporz der Bevölkerungen und nicht die Deutschen überproportional.

Kurzfristig, d.h. in 2020, ist das nur möglich, indem bestehende Institutionen und Instrumente genutzt werden. Längerfristig können Kommission (Nutzung des neuen EU-Haushalts), EIB (durch Kapitalerhöhung) und ESM wesentlich mehr tun. Die Darlehensnehmer zahlen die Zinsen und müssen sonstige Konditionen respektieren; die Zinsen sind aber extrem niedrig, auch wenn noch etwas höher als die deutscher Staatsanleihen.

Dann kann Europa nach innen und nach aussen den grossen Wert des Verbunds demonstrieren. Das würde als ein großer Erfolg und eine große Stärke für Europa in die Geschichte eingehen und den Populisten, die nationale Egoismen gegen den Gemeinschaftsgedanken aufbauen, das Handwerk legen.

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